Beckenbodentherapie
Krankheitsbilder bei Beckenbodenproblemen wie Harninkontinenz und Senkungsbeschwerden entwickeln sich meist über Jahre. Verantwortlich sind schlechte Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten. Einseitige Belastungen, überhöhte Leistungsansprüche an den Körper, Stress und zu wenig Entspannung tragen das Ihre dazu bei.
Beckenboden – Boden der Abdominalblase
Der Beckenboden ist eine mehrschichtig aufgebaute, komplexe Muskelplatte. Er bildet den caudalen Teil der Abdominalblase. Der Beckenboden bildet einerseits den Abschluss des kleinen Beckens nach unten, andererseits kleidet er das kleine Becken von innen heraus. Die Übergänge vom Beckenboden in die vordere bzw. hintere Bauchwand im Schambein- und Kreuzbeinbereich sind fliessend. Funktionell sind diese Übergänge als Schnittstellen zwischen der isolierten Arbeitsweise des Beckenbodens zur integrierten Arbeitsweise der Abdominalblase zu betrachten.
Die Doppelfunktion des Beckenbodens
Durch seine zentrale Lage erfüllt der Beckenboden mehrere Aufgaben:
- Verschliessen, Stützen und Öffnen der verschiedenen Ausgänge (Blase, Darm, Vagina)
- Fundament für eine gute, ökonomische Haltung
- Angelpunkt der Bewegungskoordination im Becken
- Durchlässigkeit in der Sexualität und bei einer Geburt
Zusammengefasst ist hier eine Doppelfunktionalität sichtbar: Einerseits das Loslassen nach unten und andererseits das Halt finden. Die Bewältigung dieser gegensätzlichen Aufgaben ist sehr anspruchsvoll. Damit der Beckenboden hier optimal funktionieren kann, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein.
Die Beckenstellung
Die Funktion des Beckenbodens verändert sich mit der Beckenstellung. Das Loslassen nach unten ist beispielsweise nur in einer Beckenflachstellung möglich, der sogenannten geburtsoffenen Haltung. Anatomisch bedingt kann sich der Beckenboden nur in dieser Stellung optimal entspannen. Die Entspannung ihrerseits ist Voraussetzung für das Loslassen bzw. Schieben nach unten.
Im Gegensatz dazu ist das Halt finden funktionellökonomisch nur dann möglich, wenn sich das Becken in der anatomischen Mittelposition befindet. Nur in dieser Stellung kann die Abdominalblase mit ihren Strukturen die innere Haltung gewährleisten. Jegliches Abweichen aus diesen für die jeweiligen Funktionen optimalen Beckenstellungen bringt vermehrten Kraftaufwand (= unökonomisch) und / oder Widerstand (= unfunktionell) mit sich.
Der freie Atemfluss
Da der Beckenboden direkt und indirekt mit dem Zwerchfell verbunden ist, spielt der Atemfluss für die Befindlichkeit und die funktionellen Möglichkeiten des Beckenbodens eine entscheidende Rolle. Über die hintere Bauchwand existiert eine direkte Spannungslinie vom Zwerchfell über den M. psoas major zum Beckenboden. Zudem löst die Atembewegung des Zwerchfells über das Vakuum der Abdominalblase indirekt eine Atembewegung im Beckenboden aus: Baut sich nun über einen unfreien Atemfluss eine erhöhte Spannung im Zwerchfell auf, wird diese via hintere Bauchwand direkt in den Beckenboden geleitet. Andererseits überträgt sich die eingeschränkte Bewegungsfreiheit des überspannten Zwerchfells über das Vakuum der Abdominalblase indirekt auch auf den mitschwingenden Beckenboden.
Der überspannte Beckenboden
Damit wird Folgendes klar: Weil die muskulären Spannungsverhältnisse der Abdominalblase bzw. des Beckenbodens vom Atemgeschehen abhängig sind, beeinflusst der Atemfluss in entscheidender Weise die Funktionstüchtigkeit des Beckenbodens. Ein unfreier Atemfluss hat immer einen erhöhten Tonus im Zwerchfell zur Folge. Deshalb ist in diesem Falle auch im Beckenboden sehr häufig eine muskuläre Überspannung anzutreffen. Eine Beckenbodenschwäche kann folglich über eine Hypertonisierung im Beckenboden und der daraus resultierenden Dysfunktionalität der Abdominalblase entstehen. Der Beckenboden funktioniert ungenügend, weil er überspannt ist und nicht etwa, weil er «zu wenig trainiert» bzw. erschlafft wäre. Oder anders gesagt: Es sind die verschobenen Spannungszustände innerhalb der Abdominalblase, die das Ausrichten und Stabilisieren der inneren Haltefunktionen über das funktionellökonomische Körperverhalten verhindern.
Beckenbodenprobleme
Krankheitsbilder wie Harninkontinenz und Senkungsbeschwerden entwickeln sich meist über Jahre. Verantwortlich sind schlechte Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten, die in der Dysfunktionalität der Abdominalblase gründen und letztlich von einem unfreien Atemgeschehen herrühren. Einseitige Belastungen, überhöhte Leistungsansprüche an den Körper, Stress und zu wenig Entspannung tragen das Ihre dazu bei. Zentral ist dabei, dass es sich bei diesen Problemen um mehrschichtige, vernetzte Reaktionsketten handelt. Das Angehen dieser Probleme ist daher ebenfalls nur über eine mehrschichtige und ganzheitliche Sichtweise möglich.
Karin Bischoff, dipl. Bewegungspädagogin BGB,
eidg. dipl. Turn- und Sportlehrerin und Claudia C. Steiner,
dipl. Bewegungspädagogin SBTG/BGB