Interview mit Frau Anja Weidmann
Physiotherapeuten haben einen besonderen Blick auf die Welt des Bewegungsapparates. Damit Patienten hinter die Kulissen des Gesundheitswesens blicken können, stellt citymed Frau Weidmann interessante Fragen zu ihren Erfahrungen als Physiotherapeutin.
citymed: Frau Weidmann, was hat Sie motiviert, Physiotherapeutin zu werden?
Frau Anja Weidmann: Mein Sekundarlehrer wollte mich unbedingt in eine Schnupperlehre in ein Behindertenheim schicken. Ich wollte das eigentlich nicht. Dennoch hatte ich mich dann mal dazu entschieden und dort musste ich mit diesen Kindern auch zur Physiotherapie. Und da wusste ich: DAS ist der Beruf, den ich erlernen möchte!
citymed: Was macht Ihnen im Praxisalltag am meisten Freude? Wo sehen Sie die größten Herausforderungen?
Frau Anja Weidmann: Der sehr abwechslungsreiche Alltag macht mir sehr Freude. Täglich begegnet man so unterschiedlichen Menschen und mit jedem muss man eine Art Übereinkunft und Zusammenarbeit anstreben. Das ist nicht immer ganz einfach und deshalb so spannend.
citymed: Welchen Vorurteilen begegnen Sie häufig in Ihrer Praxis?
Frau Anja Weidmann: Dass ein Physiotherapeut „nur“ ein Masseur ist. Dabei wissen wir inzwischen so viel über das muskuloskelettale System, dass wir oft Ärzte bei der Befunderhebung und Diagnostik unterstützen können. Es ist eine Zusammenarbeit von Arzt-Patient und Physiotherapeut.
citymed: Wie reagieren Sie, wenn Sie merken, dass ein Patient Ihren Therapieplan nicht befolgt?
Frau Anja Weidmann: Ich erkläre dem Patienten immer sehr genau, worum es geht, worauf es ankommt. Wir vereinbaren zusammen die Ziele. Ich helfe ihm lediglich mit meinem medizinischen Know-how, wie er zu diesem Ziel kommt. Aber dazu ist es unerlässlich, dass auch der Patient seinen Teil dazu beiträgt.
citymed: Wenn Sie das Gesundheitssystem ändern könnten, was würden Sie als Erstes tun?
Frau Anja Weidmann: Meiner Meinung nach sollten Patienten einen Teil der Kosten selber übernehmen müssen. Das würde die Eigenverantwortung fördern. Des Weiteren hoffe ich für die Zukunft, dass es für uns Physiotherapeuten den Direktzugang gibt, was bedeutet, dass der Patient nicht via Arzt und Verordnung zu uns kommen muss, sondern uns als erste Instanz besuchen darf für Abklärungen des muskuloskelettalen Systems.
citymed: Kein Mensch ist perfekt. In welchen Bereichen haben Physiotherapeuten Ihrer Meinung nach Verbesserungspotential?
Frau Anja Weidmann: Sehr oft trauen sich Physiotherapeuten viel zu wenig Kompetenzen zu. Sie denken, wir sind noch immer „Ausführende“ des Arztes. Dem ist nicht mehr so. Auch sollten wir Therapeuten bestrebt sein, immer auf dem aktuellsten medizinischen Stand zu sein.
citymed: Die Welt der Medizin verändert sich ständig. Gibt es neue Therapieverfahren oder Gerätschaften, die Sie in Ihrer Praxis anwenden?
Frau Anja Weidmann: In der Sportphysiotherapie gibt es auch immer neue Trends und Entwicklungen. Bei uns in der Praxis steht seit Neuem ein Functional Fitness Trainingsgerät. Das ist eine grosse Station, an der ca 6-8 Personen trainieren können. Es braucht nicht mehr für jeden Muskel ein separates Gerät.
citymed: Gibt es einen Patienten oder ein Erlebnis in Ihrer Praxis, das Sie nie vergessen werden?
Frau Anja Weidmann: Ich hatte in meinen Berufsanfängen eine junge Portugiesin als Patientin. Sie war Hausangestellte und Kindermädchen in „besserem Hause“ und hatte Nacken-und Rückenbeschwerden. Ich wollte in meinem jungen Berufsenthusiasmus eine korrekte und „vorbildliche“ Rückenschule mit ihr durchführen. Aufrichten solle sie sich. Und strecken. Aber irgendwie ging es einfach nicht. Es wurde nicht besser. Bis mir die Patientin gegen Ende der Therapie mitteilte, dass sie sich an ihrem Arbeitsort gar nicht so „aufrichten“ kann/soll. Und dass sie ziemlich ausgenützt und unterdrückt werde. Da wurde mir Einiges klar. Das ist ein Erlebnis, welches mir oft in den Sinn kommt und mich bis heute beeindruckt, welche Zusammenhänge die Psyche mit dem Körperlichen haben können.
citymed: Welchen Gesundheitstipp möchten Sie unseren Lesern mit auf den Weg geben?
Frau Anja Weidmann: Bleiben Sie in Bewegung! Wer rastet, der rostet…Es ist so immens wichtig, sich so lange es geht, adäquat zu bewegen. Das kann ein ganz leichtes Bewegungstraining bis hin zu ambitioniertem Training sein. Die Gelenke und Muskeln sind dazu da, dass man sie benutzt!